Freistaat Sachsen: Koalitionsvertrag 2019 bis 2024 - (Erste) Anmerkungen zum Themenkomplex „Gesundheit“




Proklamierter Stellenwert von Gesundheit
Gesundheit ist das höchste Gut des Menschen. Ihr Erhalt, ihre Wiederherstellung und ihre
Förderung, vor allem bei der Pflege unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger in Sachsen, ist
herausragendes Anliegen unserer Koalition“ (S. 94)*

Wenn Gesundheit das „höchste Gut des Menschen“ ist, ihr Erhalt, ihre Wiederherstellung und ihre Förderung, vor allem bei der Pflege unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger in Sachsen, herausragendes Anliegen der neuen Koalition ist, warum wird der Themenkom-plex „Gesundheit“ erst auf Seite 94 ausführlicher behandelt und warum vor allem, soll es ein Ministerium für Soziales und gesellschaftlichen Zusammenhalt geben, bei dem nicht einmal das Thema „Gesundheit“ im Namen erwähnt wird.


Mitwirkung der Kommunen
Die Mitwirkung der Kommunen bei der medizinischen Versorgung ist für uns unerlässlich.“ (S. 94)
Die Botschaft hört man wohl, doch wie sollen die Kommunen konkret mitwirken (indirekt bei der Schaffung von Infrastrukturen, wie Wohnraum, Kinderbetreuungs- und Bildungseinrich-tungen für Ärztinnen und Ärzte und Medizinische Fachkräfte sowie deren Familien als einen Baustein), doch gibt es weiterhin eine starke Versäulung im Gesundheitswesen (ambulant, stationär, Reha, Pflege) und komplexe und komplizierte Verantwortlichkeiten (Kassenärztli-che Vereinigung, Krankenhausgesellschaft etc.) und Kostenträger (Kranken/-Pflegekassen).
Kommunale Gesundheitslandschaften https://irs-bs.de//pdf/lu_gesundheitslandschaften1.pdf


Prinzipien der Freiberuflichkeit und der Selbstverwaltung sowie Neue Formen
Im Schulterschluss mit den Akteuren entwickeln wir das Gesundheitssystem für die Zukunft
fort. Dafür bekennen wir uns zu den Prinzipien der Freiberuflichkeit und der Selbstverwal-tung im Gesundheitswesen.“ (S. 94)

Gleichzeitig wird anschließend ausgeführt: „Für eine qualitativ hochwertige Versorgung im ländlichen Raum brauchen wir neue Versorgungsformen wie beispielsweise Gesundheits-zentren, Medizinische Versorgungszentren und die Poliklinik Plus.“ (ebenda)

Was soll denn nun priorisiert und gefördert werden: Freiberuflichkeit, wie die bisher v.a. von der CDU Sachsen favorisierte Form der ärztlichen Tätigkeit im ambulanten Bereich, oder die Berufsausübung in angestellter Tätigkeit in Arztpraxis, MVZ oder Gesundheitszentrum? Wie es bereits viele Ärztinnen und Ärzte im Sinne ihrer Berufs- und Familienplanung realisieren.


Aufbau von regionalen Gesundheitsnetzen
Wir fördern den Aufbau von regionalen Gesundheitsnetzen. In diesen können sich Akteure
des Gesundheitswesens regional zusammenschließen, um die Gesundheitsprävention und
-versorgung zu verbessern und moderne Versorgungsformen einzuführen.“ (S. 94)

Hier hatte die CDU Sachsen (zusammen mit der SPD)
einige Jahre Zeit, gute Beispiele in anderen Regionen und Bundesländern zu analysieren und für Sachsen fruchtbar zu ma-chen: siehe u.a. das Programm und Projekt „Gesundheitsregionenplusim Freistaat Bayern.

In den bayrischenGesundheitsregionenenplus“ gibt es dabei verbindliche Fördervorausset-zungen, die ein staatliche Unterstützung beinhalten. Mit einer unverbindlichen Formulierung wie im Koalitionsvertrag in Sachsen „Wir fördern den Aufbau von regionalen Gesundheits-netzen“ wird sich kaum etwas in Sachsens Regionen bewegen.


Eindeutiger Trend: Ambulante Behandlungen nehmen stetig zu
Wir begleiten die Entwicklung neuer Versorgungsformen. Dazu gehören sektorübergreifen-de Versorgungs- und Kooperationsstrukturen des ambulanten und stationären Bereiches, eine sektorenübergreifende Verzahnung des kassenärztlichen Bereitschaftsdienstes mit der
Notfallversorgung in den Krankenhäusern und die Weiterentwicklung der sächsischen Kran-kenhauslandschaft. Dabei muss die Digitalisierung im Gesundheitswesen eine entscheiden-de Rolle spielen.“(S. 94f.)

Sicher spielen die derzeit 80 Krankenhäuser in Sachsen eine wichtige Rolle und das werden sie auch in den kommenden Jahren, v.a. im Ländlichen Raum, wo sie bereits heute wichtige Anker- und Brückenfunktionen in ihren jeweiligen Regionen haben.

Zugleich ist eine verstärkte „Ambulantisierung“ zu beobachten: „Ambulante Behandlungen machen einen immer größeren Teil der medizinischen Versorgung in Deutschland aus. Der Wandel in der Versorgung – weg vom Krankenhaus, rein in die Praxen –, dieser Wandel ist nicht von uns postuliert, er findet statt! Das zeigen die neuesten Zahlen einmal mehr“, so Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), im Ergebnis einer neuen Studie des Zentralinstituts der kassenärztlichen Versorgung (Zi) im Jahr 2017. Dabei stieg der Anteil der in Arztpraxen erbrachten Leistungen zwischen den Jahren 2011 und 2013 um 2,6 Prozent. Die Belegungstage im Krankenhaus sanken im gleichen Zeitraum um 0,2 Prozent. (siehe https://www.kbv.de/html/2017_30297.php)

Insofern sollte der ambulanten medizinischen Versorgung, der Prävention und der Gesund-heitsförderung in den jeweiligen Regionen, Landkreisen, Kommunen sowie in konkreten Le-benswelten (Stadtteil, Quartier, Kindereinrichtungen, Schulen, Unternehmen, Pflegeeinrich-tungen etc.) wesentlich mehr Beachtung und Förderung geschenkt werden.
Gesundheitswirtschaft in Sachsen
Die Gesundheitswirtschaft ist einer der beschäftigungsintensivsten Bereiche in Sachsen.
Sachsen gehört zu den dynamischsten Life Sciences-Regionen Deutschlands. Gemessen an der gerade in den Lebenswissenschaften langen Zeitspanne zwischen Forschung und
Produkt(erfolg) hat sich die sächsische Biotechnologie mit großer Unterstützung gut ent-wickelt.“ (S. 95)
Die Gesundheitswirtschaft in ihrer Gesamtheit (das heißt im Sinne des bekannten und aner-kannten „Zwiebelmodells“: http://www.gbe-bund.de/gbe10/abrechnung.prc_abr_test_logon?p_uid=gast&p_aid=0&p_knoten=FID&p_sprache=D&p_suchstring=25932) spielt in Sachsen - trotz anderweitiger Beteuerungen – keine wichtige und tragende Rolle.

Laut Personalrechnung gab es in Sachsen 2017 im Gesundheitswesen im klassischen, Sin-ne (ambulante Einrichtungen, stationäre/teilstationäre Einrichtungen etc.): 232.500 Beschäf-tigte; im weiteren Sinne (sonstige Einrichtungen, Vorleistungseinrichtungen): 38.500 Be-schäftigte (siehe: https://www.statistik.sachsen.de/html/654.htm#article23433)

Die Biotechnologie spielt kaum eine Rolle in der Gesundheitsversorgung, trotz medialen Auf-wandes und vielfältiger Förderinstrumente. Wohl auch, weil sie nicht auf die „Lebenswissen-schaften“ im ganzheitlichen Sinne orientiert ist, sondern v.a. auf biomedizinische Dominanz.


Präventionsgesetz
Mit dem Präventionsgesetz stärken wir die Gesundheitskompetenz von der Geburt bis ins
hohe Alter. Gesundheitsförderung gewinnt in Land und Kommunen immer mehr an Bedeu-tung. Gemeinsam mit dem Netzwerk der Sächsischen Landesvereinigung für Gesundheits-förderung gestalten wir diesen Bereich in allen Lebenswelten weiter.“ (S. 96)
Zu unkonkret: Welche konkreten Lebenswelten (Region, Stadtteil, Quartier, Kindereinrich-tungen, Schulen, Unternehmen, Pflegeeinrichtungen etc.) sollen wie gefördert werden?!


Fazit:
  1. Der Abschnitt „Gesundheit“ im Koalitionsvertrag 2019 bis 2024 gibt eine Reihe von Entwicklungen im Gesundheitswesen in Sachsen zutreffend wieder.

  2. Gleichzeitig erscheint der Abschnitt zum Thema „Gesundheit“ wie eine eher zufällig zusammengetragene Aneinanderreihung von Fakten, also eine eklektische Aufzäh-lung von Einzelthemen. Eine sachliche und logische Stringenz ist kaum zu erkennen. Hier scheint es so, dass verschiedene Autoren von den jeweiligen Parteien (CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen) ihre Statements und Positionen eingebracht haben.

  3. Insgesamt erscheint der Abschnitt – bei allem politischen Pragmatismus - als zusam-menhangslos, nicht dem Stand der gesundheitspolitischen Diskussion und nicht der Tragweite des behaupteten Anspruchs „Gesundheit als höchstes Gut“ angemessen.


Anmerkung:
*Die Seitenangaben beziehen sich auf das PDF-Dokument: Freistaat Sachsen: Koalitionsvertrag 2019 bis 2024: Erreichtes bewahren - Neues ermöglichen - Menschen verbinden - Gemeinsam für Sachsen: siehe u.a. https://www.mdr.de/sachsen/politik/koalitionsvertrag-sachsen-102.html

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