Vdek-Neujahrsforum 2020 Sachsen: Schwerpunkt Prävention und Gesundheitsförderung

 

Rahmendaten:

- Datum: Freitag, 10. Januar 2020
- Ort: Hotel NH Collection Dresden, Altmarkt, An der Kreuzkirche
- Veranstalter: vdek, Landesvertretung Sachsen

Impulsgeber:
- Silke Heinke, Leiterin der vdek-Landesvertretung Sachsen
- Petra Köpping, Sächsische Staatsministerin für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt
- Prof. Dr. rer. nat. Gerd Glaeske, Universität Bremen, SOCIUM Forschungs-zentrum Ungleichheit und Sozialpolitik, Abteilung Gesundheit, Pflege und Alterssicherung
- Laura Wamprecht, Abschluss Biochemie, M. Sc., Director „Pioneer Program“ der Flying Health Incubator GmbH, Berlin

Silke Heinke: "Kommunen sind wichtige Partner der Gesundheitsförderung":
In ihrer Begrüßungsrede auf dem Neujahrsforum des Verbands in Dresden betonte die Landeschefin des Verbands der Ersatzkassen e.V. (vdek), Silke Heinke, dass in Sachsen mehr Menschen gleiche Gesundheitschancen haben sollen. Die Kommunen spielen bei hierbei eine zentrale Rolle. „Wir müssen sozial benachteiligte Menschen mit Angeboten für Prävention und Gesundheitsförderung dort ansprechen, wo sie leben und arbeiten. Das
sind die Kommunen.“ Heinke führte zugleich aus, dass es Ziel sei, Kinder aus sozial schwachen Familien, Menschen mit Behinderungen sowie Bewohner von Pflegeheimen mit Präventionsangeboten wie z.B. zur Bewegung und Ernährung besser zu erreichen.

Jeder Mensch müsse die gleiche Aussicht haben, gesund auf zuwachsen und alt zu werden. „Entscheidende Vorarbeiten, um diesem Vorhaben näher zu kommen, sind in Sachsen abgeschlossen“, erklärte Heinke. „Die gesetzlichen Krankenkassen haben sich mit den anderen Sozialversicherungsträgern, Landesministerien und kommunalen Gremien zusammengetan. Die Inhalte und der konkrete Fahrplan des gemeinsamen Engagements sind abgestimmt.“ Die gemeinsame Präventionsinitiative arbeite jetzt diesen Fahrplan ab. Dazu würden für und in den Regionen spezielle „Kümmerer“ geschaffen, qualifiziert und unterstützt. Das geschehe mit zahlreichen Fachkonferenzen, Workshops oder Koordinierungsstellen wie etwa zur Gesundheitsförderung in Kindertageseinrichtungen.
 
Petra Köpping, Sächsische Staatsministerin für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt: Den Koalitionsvertrag 2019 bis 2024 mit Leben erfüllen:
Nach der Vereidigung als Ministerin für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt am 20. Dezember 2019 war die Staatsministerin, Petra Köpping, v.a. darauf bedacht, die im Koalitionsvertrag zwischen der CDU Sachsen, der SPD Sachsen sowie den GRÜNEN benannten Schwerpunkte in den Bereichen Gesundheits- und Pflegepolitik darzustellen:
  • Ausbau des Bündnisses „Wir versorgen Sachsen“. Die Allgemeinmedizin soll weiter gestärkt und die Förderung der Weiterbildungsverbünde fortgeführt werden. Für eine qualitativ hochwertige Versorgung im ländlichen Raum werden hierzu neue Ver-sorgungsformen, wie beispielsweise Gesundheitszentren, Medizinische Versorgungs-zentren und die „Poliklinik Plus“ [was immer hiermit intendiert sein soll?], benötigt.
  • Das Sozialministerium will zugleich die Entwicklung neuer Versorgungsformen be-gleiten. Dazu gehören sektorübergreifende Versorgungs- und Kooperationsstrukturen des ambulanten und stationären Bereiches, eine sektorenübergreifende Verzahnung des kassenärztlichen Bereitschaftsdienstes mit der Notfallversorgung in den Kranken-häusern und die Weiterentwicklung der sächsischen Krankenhauslandschaft. Dabei soll die Digitalisierung im Gesundheitswesen eine entscheidende Rolle spielen.
  • Umsetzung der Maßnahmen des 20-Punkte-Programms für die Deckung des abseh-baren Ärztebedarfs, insbesondere im ländlichen Raum: vor allem Weiterführung des Stipendienprogramms für Hausärztinnen und -ärzte, die Prüfung der Erweiterung auf Fachärztinnen/-ärzte mit besonderem Bedarf und zusätzlich Finanzierung des Studi-ums von künftigen Medizinerinnen und Medizinern an der Universität Pécs (Ungarn).
  • Pflege: große Aufmerksamkeit auf dieses Thema, v.a. ein Programm zur Investitions-förderung auflegen, das insbesondere der Schaffung von Kurzzeitpflegeplätzen dient.


Prof. Dr. rer. nat. Gerd Glaeske: Wie wird Prävention zukunftsfähig? Neue Ansätze in der Gesundheitsförderung:
Prof. Glaeske gilt als einer der profiliertesten Kenner des deutschen Gesundheitswesens, hat sich als Gesundheitswissenschaftler einen Namen gemacht und war von 2003 bis 2009 Mit-glied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen.

„LBL“: „Länger besser leben.“-Institut?
Gegenwärtig ist Prof. Glaeske auch beim „Länger besser leben.“-Institut engagiert. Die Uni-versität Bremen und die Krankenkasse BKK24 haben das „Länger besser leben.“-Institut gegründet. Hierunter verbirgt sich eine Kooperation, die sich inhaltlich mit Prävention und Gesundheitsförderung beschäftigt.

Was bedeutet „Länger besser leben.“?: Grundlage des Programms ist die sogenannte EPIC-Studie. Führende Wissenschaftler haben 20 Jahre an der Cambridge Universität geforscht und herausgefunden, warum manche Menschen seltener krank und deutlich älter werden. Das Ergebnis sind vier Regeln, die das Leben um bis zu 14 Jahre verlängern kön-nen. Aus den Erkenntnissen dieser Forschung wurde ein alltagstaugliches Programm für Gesundheitsförderung und Wohlbefinden geschaffen: „Länger besser leben.“!

Die Norfolk-epic-Studie schloss ab dem März 1993 über 25.000 Menschen (40-79 Jahre) ein; sie sollte vor allem der Vermeidung bzw. Reduzierung von Krebserkrankungen dienen.
  • Geschätzt sind 30 % aller Krebserkrankungen Lebensstil-bedingt
  • Daneben sollte auch der Rückgang von chronischen Erkrankungen, wie Diabetes, Herzinfarkte, Rheumatoide Arthritis, Demenz oder Schilddrüsenerkrankungen erreicht werden
  • Ergebnis: Healthy living „can add 14 years“...

In diesem Sinne durchziehen insbesondere die Gutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen regelmäßig Aussagen zu Fehlalloka-tionen (Unter- und Überversorgung, mangelnde Koordination und Integration, Kuration ver-sus Prävention) sowie zur Gewichtung der Sektoren und Bereiche (ambulante und statio-näre kurative Versorgung; Rehabilitation; Pflege; Prävention und Gesundheitsförderung).

Siehe u.a. Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen: Koordination und Integration − Gesundheitsversorgung in einer Gesellschaft des längeren Le-bens, Sondergutachten 2009, Kurzfassung:
https://www.svr-gesundheit.de/index.php?id=14

Unterschiede in der Lebenserwartung: So leben auch im reichen Deutschland Wohlha-bende und Besser-Qualifizierte immer noch deutlich länger als Menschen in armen Verhält-nissen. Bei Männern beträgt der Unterschied bei der Lebenserwartung knapp elf Jahre.



Hoher Anteil von Prävention und Gesundheitsförderung an Gesundheitszustand und Lebenserwartung gegenüber dem Anteil des medizinisch-kurativen Systems:
Dabei gehen Schätzungen davon aus, dass der Anteil des medizinisch-kurativen Sy-stems an der Verbesserung der Lebenserwartung und des allgemeinen Gesundheits-zustandes der Bevölkerung der letzten Jahrzehnte bei nur ca. 10 bis 30 Prozent bei Männern und bei etwa 20 bis 40 Prozent bei Frauen liegt. Gesundheitsfördernde und primärpräventive Maßnahmen hingegen können schon einen wesentlichen Beitrag zur Vermeidung von Krankheitsentstehung überhaupt leisten und damit vermutlich einen deutlich signifikanteren positiven Einfluss auf den Gesundheitszustand der Bevölkerung ausüben. Siehe u.a. Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen: Gutachten 2000/2001. Bedarfsgerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit, 2002, S. 116.


Dabei ist Gesundheit ohne Politik nicht machbar – unser Gesundheitssystem braucht neue Strukturen, insbesondere auch für die feste Verankerung der Prävention…

Abb. Von der sektoralen zur populationsorientierten Versorgung

Abb.: Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen: Koordination und Integration − Gesundheitsversorgung in einer Gesellschaft des längeren Lebens (SVR 2009), Sondergutachten 2009, Ziffer 1179




Laura Wamprecht, Director „Pioneer Program“, Flying Health Incubator GmbH, Berlin: Digitale Prävention – Wo der Patient noch Consumer ist:
Frau Wamprecht gab in ihrem Vortrag einen interessanten Ein- und Überblick zu innovativen und kreativen Anwendungen und Tools aus den Bereichen eHealth, Telemedizin, die zum Teil dem Bereich der GKV, zum Teil dem Consumer-/Selbstzahler-Bereich, zuzuordnen sind:

Mit M-sense – der zertifizierten Medizin-App. Slogan: „Übernimm die Kontrolle bei Migräne & Kopfschmerzen!“, Newsenselab GmbH, Berlin:
Das Startup Newsenselab hat eine App entwickelt, die eine personalisierte und mobile Mi-gränetherapie ermöglicht. M-sense bietet seinen Nutzern verschiedene Funktionen. Zum ei-nen können sie ein Tagebuch anlegen, in dem sie ihre Schmerzattacken, potenzielle Ein-flussfaktoren und Medikamenteneinnahmen festhalten. Parallel dazu erfasst die App auto-matisch Wetterdaten. Sind genügend Daten gesammelt, beginnt M-sense mit seiner Ana-lyse. Dazu bezieht es den individuellen Lebensstil, Umwelteinflüsse und biologisch-hormo-nelle Faktoren ein. Ziel ist es, das eigene Migräne- und Kopfschmerzmuster zu eruieren. Darauf aufbauend erstellt die App einen persönlichen, multimodalen Therapieplan mit einer Kombination aus Entspannungsverfahren, Bewegungstraining und Biofeedback.


Preventicus aus Jena: Diese App soll Herzrhythmusstörungen erkennen können:
Schlaganfälle sind eine der häufigsten Todesursachen in Deutschland, wobei sich insge-samt 270.000 Schlaganfälle jährlich in Deutschland ereignen. Eine nicht erkannte und un-behandelte Herzrhythmusstörung ist nicht selten der Auslöser dafür. Schlägt ein Herz aber nur für kurze Zeit unregelmäßig, ist es für den Laien kaum feststellbar, ob es sich um eine harmlose kurzzeitige Abweichung handelt oder um die Anzeichen einer ernsten Erkrankung.

Preventicus hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese Unterscheidung zu erleichtern - und zwar per App. Die Anwendung erlaubt dem Nutzer, allein mithilfe seiner Smartphone-Ka-mera und dem integrierten Kamerablitz seinen Puls zu messen und eine eventuelle Herz-rhythmusstörung erkennen zu können. Die App mit dem Namen „Heartbeats“ soll annä-hernd so genau sein wie ein aufwendiges Elektrokardiogramm (EKG). In einer klinischen Studie der Universität Basel sei eine sehr gute Erkennungsgenauigkeit bei einer fünf-minü-tigen Messdauer nachgewiesen worden, wirbt das Thüringer Startup.


Sympatient – ein Startup bekämpft die Angst:
Angst ist ein natürliches Grundgefühl und kann im Extremfall lebenserhaltend sein. Zum Problem wird sie, wenn sie sich ins Krankhafte steigert. Millionen Menschen leiden unter Angststörungen, vielen fehlt die Möglichkeit einer Therapie. Das Startup Sympatient zeigt einen neuen Weg aus der Krankheit und setzt dabei auf virtuelle Realitäten.

Angst hat jeder einmal, und in realen Gefahrensituationen ist sie oft ein kein so schlechter Ratgeber. Was aber, wenn die Angst zum ständigen Begleiter wird und das ganz normale Alltagsleben zur Qual macht? Diese Form der psychischen Störung ist keine Seltenheit. Seriöse Schätzungen gehen davon aus, dass allein Deutschland mindestens 10 Millionen Menschen im Laufe ihres Lebens mit Angststörungen zu tun haben.

Sympatient setzt auf Virtual Reality: Das Verfahren ist im Prinzip einfach. Der Patient setzt sich eine VR-Brille auf und bekommt über eine App Szenen vorgespielt, die ihn mehr und mehr in eine ihm bedrohlich erscheinende Lage versetzen. Schauplätze können zum Bei-spiel ein Aufzug, ein Flugzeug oder eine U-Bahn sein, die sich zunehmend mit Passagieren füllt. Der Patient entscheidet selbst, wie weit er dabei gehen will. Sympatient strebt an, seine App und das damit verbundene Verfahren als Medizinprodukt zertifizieren zu lassen.


Fazit:
Das Neujahrsforum des Vdek-Sachsen war wiederum eine sehr gelungene Veranstaltung. Sehr interessant und spannend wird es sein, inwiefern die beiden „Sphären“: klassische An-wendungen (im Bereich der GKV) mit den neuen Anwendungen im Bereich eHealth/Teleme-dizin zusammenwirken können oder ob sich hier eine neue (digitale) Spaltung auftut, die die Aktivitäten in Prävention und Gesundheitsförderung für bestimmte (benachteiligte) Ziel-gruppen und den angestrebten Abbau von Ungleichheiten eher wieder konterkariert.


Autor des Beitrags:
Joachim
Joachim Preißler
Dipl.-Philosoph,
Dipl.-Gesundheitswissenschaftler

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